Thursday, January 25, 2007

 

Edo Meyer schreibt aus Masaya / Nicaragua

„Welche Farbe hat ein Schwein?“
fragte ich den fünfjährigen Jimmi, der gerade mit Wachsmalern ein Schwein malen wollte. Rosa, Schweinchenrosa oder irgendwie so was, was man halt als Kind aus Bilderbüchern lernt, hatte ich erwartet. „Blanco! – Weiß!“ kam die unerwartete Antwort. Natürlich hatte Jimmi so gut wie nie in ein Bilderbuch geschaut, wozu auch, wenn hier doch die Hausschweine auf dem Gelände rumlaufen. Und irgendwie hatte er Recht, die Schweine sind viel mehr weiß als rosa.

Der Aufstieg [zum Fort “El Fortín ist] nicht so angenehm, da man eine riesige Müllkippe durchkreuzt, auf der auch Kinder arbeiten. Die meisten von den Kids haben uns erzählt, dass sie Metalle suchen, die sie dann für nur wenig Geld verkaufen. Da die Arbeiter auf den Müllwagen aber schon das Meiste heraus sammeln, bleibt den Kids nicht mehr viel übrig. Der Anblick dieser Arbeitsstätte war für mich sehr krass. Der Geruch in der Nase war unerträglich und der Gedanke, dass diese Kinder dort täglich arbeiten müssen um zu überleben, ist unvorstellbar.


Die Zivi-Hütte
Unsere Zivihütte wurde letztes Jahr von unseren Vorvorgängern selbst erbaut. Wir haben kein fließendes Wasser, sondern müssen dieses ein- bis zweimal die Woche auf einem Carretón zu unserer Hütte schieben. Die Wäsche wird hier auf einem so genannten Lavador gewaschen. Handwäsche ist wirklich eine langwierige Arbeit. In Deutschland vergisst man leider viel zu schnell, wie gut man es hat. Eine Waschmaschine wird als selbstverständlich angesehen. Wenn ich schon früher gewusst hätte, wie sehr ich unsere Waschmaschine hier vermissen würde, hätte ich wahrscheinlich mehr Zeit mit ihr verbracht und sie viel mehr geschätzt. Allerdings hat das Handwaschen auch seine Vorteile. “Was mir hier sehr gut gefällt, ist, dass die Haushaltsarbeit hier in einem viel realeres Verhältnis zum Ergebnis steht. Denn hier muss man tatsächlich ordentlich schrubben und gleichzeitig sparsam mit dem selber heran geschleppten Wasser umgehen, um seine Wäsche sauber zu bekommen. In Deutschland wäre das ganze mit einem Knopfdruck erledigt...” schrieb mein Mitfreiwilliger Paul ganz richtig. Dadurch wird man auch etwas pingeliger. Denn ich weiß, dass ich genau diesen Fleck auf der Hose später per Hand rausbürsten muss. Hier wird mir klar, was für einen Luxus ich in Deutschland genossen habe. Wir hatten einen Geschirrspüler - jetzt spülen wir das Geschirr im Lavador, ein richtiges Klo - jetzt ein Loch im Boden mit etwas Beton drum herum. Das soll nicht bewertend klingen, denn auch wenn ich zwar ein paar Dinge vermissen, ist die Erfahrung wunderbar. Und hier darf ich eine Natur erfahren, wie ich sie noch nie erlebt habe. Wir haben einen Bambuswald vor der Tür, der sich bei Wind fast bis zum Brechen biegt. Wir haben unzählige Bananenstauden im Garten, genauso wie Limonenbäume, Papayabäume und vier große Avocadobäume direkt über unserer Hütte. Nachts fliegen Glühwürmchen durch die Spalten im Haus in die Zimmer und morgens wachen wir mit der Sonne auf. Natürlich nicht immer. Man lebt viel mehr draußen als drinnen.

Die Knoblauchzehe in Pauls Ohr
Die Einstellung zu Medikamenten in Nicaragua kommt mir manchmal sehr merkwürdig vor. Einerseits gibt es hier so genannte Brujas = Hexen, die bei Krankheiten helfen können. Andererseits ist es aber viel verbreiteter, bei jeder Kleinigkeit Medikamente zu nehmen. Nicht nur, dass man in jeder Apotheke alle möglichen Mittel bekommt, die in Deutschland mindestens rezeptpflichtig sind, sondern auch die Ärzte verschreiben ihren Patienten einen Haufen von Antibiotika und Schmerzmittel. Da passiert es schon mal, dass man mehrere Spritzen nach einem Wespenstich bekommt, wie mir ein Bekannter erzählte. Oder wie in Pauls Fall: Er hatte einige Tage lang Ohrenschmerzen, die anscheinend nicht allzu schlimm waren, aber nicht verschwinden wollten. Deshalb besuchte Paul einen Arzt, der eine Entzündung feststellte und ihm nicht nur ein starkes Antibiotikum, sondern auch ein Schmerzmittel und ein Medikament gegen den Druck im Ohr gab. Das half zwar zuerst, aber nach kurzer Zeit kehrten die Beschwerden wieder. Als Angela, (unsere Projektleiterin) das hörte, sagte sie Paul solle sich eine warme Knoblauchzehe über Nacht ins Ohr stecken. Klingt zwar komisch, aber hilft. Nach zwei Nächten waren die Schmerzen ganz verschwunden.

Gestern habe ich mich neben ein bettelndes Straßenkind gesetzt, das mich um einen Peso bat und habe versucht etwas über ihn und seine Geschichte zu erfahren. Der Junge erzählte mir, nach anfänglichem Zögern, dass er jeden Tag am selben Ort sitze, die vorbeifahrenden Autos anschaue und Menschen um Geld anbettele. Er sei verantwortlich dafür, dass seine Familie am Abend genug zu essen habe. Sein täglicher Verdienst „dipende del día“, hänge vom Tag ab. An einem Feiertag, wenn weniger Passanten durch León laufen, „verdiene“ er weniger, als an einem hektischen Wochentag. Zwischen meinen Fragen und seinen Antworten gab es lange Momente des Schweigens, die jedoch nicht unangenehm waren. Ich meinte fühlen zu können, dass es den Jungen beschäftigte, dass sich ein Chele wie ich, von denen er hauptsächlich Geld bekommt, nun neben ihn setzt, Interesse an seinem Leben zeigt und von seinem eigenen Leben erzählt. In diesem Augenblick habe ich angefangen die Straße, die wir betrachteten, aus den Augen des Kindes zu sehen, das im eigentlichen Sinne seiner Kindheit beraubt wurde – kein Kind mehr sein darf. Warum habe ich mich neben den Jungen gesetzt? Ich glaube ich hatte in diesem Moment einfach das Bedürfnis mehr über diesen Jungen zu erfahren und gleichzeitig, ihm das Gefühl und das Bewusstsein zu vermitteln, dass ich kein typischer weißer Tourist bin, der nicht an seiner Lebenssituation interessiert ist. Ich glaube, dass dies für mich Teil meines Auftrags hier in Nicaragua ist. Ich kann den Menschen nicht mit dem Aufbau von Wassersystemen helfen, da mir dazu die finanziellen Mittel und Qualifikationen fehlen. Ich habe den Glauben, dass meine Hilfe auf eine andere Weise erfolgt. Auf einer zwischenmenschlichen Ebene. Ich kann hier in Nicaragua die Welt nicht verändern. Wohl aber kann ich die Welt einzelner Menschen verändern. Von ihnen lernen und Interesse zeigen. Vorurteile einzelner aufbrechen. Lächeln und ein Anflug von Hoffnung bringen......als ich aufstand und wegging, sah mir der Junge nach, hat mir gewunken und mich kein zweites mal um Geld gebeten...

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